Seele

„Es gibt letztlich keine Möglichkeit, Gefühle effektiv zu verleugnen, denn sie werden sich auf die ein oder andere Art manifestieren und zum Ausdruck kommen, egal, wie stark unser Widerstand dagegen ist. Gefühle sind wirklich.“
– Gabrielle Roth

1. Trauma und Autoimmunerkrankungen
2. Achtsamkeit
3. Seelentagebuch
4. Spielecke
5. Was hilft noch?

1. Trauma und Autoimmunerkrankungen

Seit über zwanzig Jahren arbeite ich mit Menschen, höre ihre Erlebnisse und Geschichten. Ich begleite also nicht nur mich selbst, sondern auch andere durch besondere Herausforderungen.

Durch die Geschichten anderer und meiner eigenen bin ich zu der Überzeugung gelangt, dass Autoimmunerkrankungen häufig im Zusammenhang mit traumatischen Erfahrungen* stehen. Ich bin weder Psychiaterin noch Psychologin, trotzdem möchte ich an dieser Stelle dringend ermutigen, sich der eigenen Traumata anzunehmen. Der Zugang zum Mitgefühl für eigene Verletzungen ist viel leichter, wenn wir heute die Kinder in unserer unmittelbaren Umgebung beobachten. Wir sehen kleine, bedürftige und verletzliche Wesen, die unserer liebevollen Fürsorge und Sicherheit bedürfen, und zwar in jedem Moment. Und genau so waren wir auch. Jede Verletzung der kindlichen Integrität ist für immer in unseren Zellen gespeichert, ob es uns nun bewusst ist oder nicht.
Meiner Ansicht nach liegt der Gedanke nahe, Rheuma und Co. als Teil psychosomatischer Erkrankungen zu sehen, oder zumindest eine Verknüpfung herzustellen. Es lässt jedoch nicht den Schluss zu, dass wir diesen Vorgang zielstrebig aktiv beeinflussen können, in dem wir beispielsweise nur ausreichend Therapie machen müssten, um uns von unseren Thraumata zu befreien und schon ist die Autoimmunerkrankung weg. Viele von uns haben es schon leidvoll erfahren müssen: Therapie braucht Lebenszeit. Sie braucht Erfahrungen, Geduld und Beharrlichkeit.
Überhaupt erfordert es besondere Achtsamkeit, wenn wir Krankheiten mit Psychosomatik verknüpfen, weil bei Betroffenen schnell der Eindruck entsteht, man sei selber schuld. Im Umgang mit uns selbst und auch mit anderen befinden wir uns dann auf dünnem Eis und da wir meist ohnehin genug mit unseren Schuldgefühlen zu tun haben, brauchen wir nicht auch noch den Gedanken, wieder nicht zu genügen oder etwas nicht geschafft zu haben.
Außerdem gehen Ärzte, wenn sie für Schmerzen keine klare Ursache finden können, ohnehin umstandslos von einer psychosomatischen Erkrankung aus und vernachlässigen dann weitere Ursachenforschung, bzw. medizinische, therapeutische Maßnahmen. Das darf uns aber nicht daran hindern, die Hypothese einer Kausalität zwischen Traumata und Autoimmunerkrankung zu überprüfen

Ist es sehr provokativ, Autoimmunerkrankungen im Rahmen von Autoaggression zu betrachten? Natürlich nicht im Sinne von selbstverletzendem Verhalten, sondern eher wie das Echo von Schuldgefühlen, wie ein unbewusster Akt der Bestrafung.
Wie ordnen sich unsere Gedanken und Gefühle neu, wenn wir unsere eigene Autoimmunerkrankung im Zusammenhang mit Schuld und Bestrafung sehen?9936
Welche Schuldgefühle könnten sich über unsere Krankheit ausdrücken?
Und woran hindert uns unsere Erkrankung?
Wer bestraft hier wen?
Und wieviel Abwehr verspüren wir, wenn wir wirklich versuchen, diese Fragen für uns zu beantworten?

Wenn wir an dieser Stelle der inneren Stimme lauschen, kommen wir vielleicht zu neuen Erkenntnissen, wichtig ist jedoch immer, sich diese nicht wie einen nassen Lappen um die Ohren zu hauen, sondern im Gegenteil, wie einen warmen Mantel hinzuhalten.
Es geht immer um Entlastung und Klarheit. Um weitere Belastungen und Verwirrungen müssen wir uns wirklich nicht bemühen, hier sind liebevolle Entlastung und Trost gefragt.
Und wer bei seinem wertschätzenden Zwiegespräch mit sich selbst zufällig auf seine kindlichen, inneren Anteile stößt, kann sie herzlich willkommen heißen und sie in die Spielecke einladen.
Welchen Nutzen habe ich also davon, wenn ich Verknüpfungen zwischen meiner Autoimmunerkrankung und meinen thraumatischen Erlebnisse sehe? Für mich liegt es auf der Hand, ich kann beides integrieren, als Teil meines Selbst erkennen. Ich kann mich von unberechtigten, kindlichen Schuldgefühlen befreien. All das gibt mir die Chance, mich weniger wegen meiner Erkrankungen, meiner Unzulänglichkeiten abzuwerten oder gar zu bekämpfen. Es verhilft mir im Gegenteil zu einer liebevollen und wertschätzenden Grundhaltung mir selbst gegenüber.
Wer sonst hätte einen Grund, uns willkommen zu heißen, wie wir sind, wenn nicht wir selbst?

(Das Wort „Schuldgefühle“ ruft oft Abwehr hervor, aber gerade für die Eltern unter uns ist es wichtig, eigenen Schuldgefühlen auf den Grund zu gehen und uns, falls nötig, zu korrigieren. Schuldgefühle stören immer, sowohl uns als auch unsere Kinder.)

*Für alle, die mehr zum Thema Trauma erfahren wollen: Lydia Hantke & Hans-J. Görges; Handbuch Traumakompetenz

2. Achtsamkeit

„Nur die Gegenwart steht uns zum Leben zur Verfügung.“
– Jon Kabat-Zinn

Als grundsätzlich bodenständiger Mensch habe ich mich lange gegen den Begriff Achtsamkeit gesperrt, sah ich ihn doch im Kontext mit schwammiger Esotherik oder, aus meiner Sicht , abgehobener Spiritualität.
Seit Jahren nutze ich Yoga und Yoga Nidra, um mich zu entspannen und mich wahrzunehmen. Beim Yoga begegnete mir zum ersten Mal mein bewusster Atem. Atme ich bewusst, dann bin ich achtsam. Und in welchem Zusammenhang ich das tue, ist Geschmacksache. Es gibt unglaublich viele Möglichkeiten, Achtsamkeit zu erleben, sie verhilft mir dazu, in der Gegenwart zu sein, egal ob ich Yoga oder Tai Qi oder Qi Gong praktiziere. Ich kann beispielsweise auch meinen täglichen Spaziergang in meditatives Gehen verwandeln, in dem ich meinen Atem beobachte und mit meinen Sinnen im Jetzt bin. Ich persönlich habe meine Lieblingswege zur Achtsamkeit im Yoga, in der Meditation und beim Singen von Mantras gefunden. Und ich konnte feststellen, dass sich dies alles wunderbar mit Bodenständigkeit verbinden lässt.

„Integraler Bestandteil der Meditation ist das Entwickeln von Vertrauen in die eigene innere Weisheit.“
– Jon Kabat-Zinn

Achtsamkeit ist dem Wesen nach positiv und lebensbejahend, es ist absolut sinnvoll, die eigenen etwaigen Vorurteile gegen Meditation und Entspannungsmethoden abzulegen und sich einzulassen. In dem Moment, wo ich meditiere, genüge ich vollkommen. Ob es mir gelingt, meinen Geist zu entschleunigen oder nicht, ist nicht wesentlich. Ganz im Gegenteil, ich finde einen übertriebenen Ehrgeiz an dieser Stelle lästig und hinderlich. Wesentlich ist viel mehr eine konsequent liebevolle Haltung mir selbst gegenüber. Natürlich kann und muss ich mich selbst kritisch hinterfragen, aber nicht, um mich mit wenig hilfreichen Schuldgefühlen zu belasten, sondern um mich zu korrigieren.
In der Meditation kann ich mich immer wieder liebevoll an die Hand nehmen und meine Wahrnehmung zu mir und meinem Atem zurückführen.

„Wir mögen unsere Lebensumstände nicht bestimmen können, doch wir haben die Macht zu entscheiden, wie wir mit ihnen umgehen.“
– Gabrielle Roth

3. Seelentagebuch

„Nicht das bewusste Wahrnehmen der Schattenkräfte ist der Feind, so schmerzhaft das zuerst auch sein mag, sondern das unbewusste Ausagieren derselben.
-Gabrielle Roth

Bei meinem Aufenthalt in der Caduceus Klinik erfreute sich gerade die Bohnenmethode großer Beliebtheit. Vielen wird sie schon bekannt sein, morgens stecke ich eine Handvoll Bohnen in die linke Hosentasche und bei jedem erfreulichen Moment im Laufe des Tages nehme ich eine Bohne heraus und stecke sie in die rechte Hosentasche, um abends zu schauen, wie viele schöne Momente der Tag für mich hatte. Simpel und nicht sehr aufregend, aber in schwierigen Phasen absolut der Mühe wert. Auch hier komme ich wieder zur liebevollen Selbstdisziplin, gerade wenn es mir nicht so gut geht, ist es entscheidend, überhaupt etwas zu tun, sei es noch so kleinschrittig und unspektakulär. Der Bohnenmoment entwickelte sich zum stehenden Begriff unter Insidern, was zu weiteren Bohnenmomenten führte.

Das Seelentagebuch erfüllt einen ähnlichen Zweck, außer dass es hier natürlich nicht nur um schöne Momente geht, sondern generell um meine Befindlichkeit. Manchmal muss Raum für Jammern oder Trauer sein, manchmal für Wut- oder Hassgefühle und manchmal eben auch für die Bohnenmomente. Das Schreiben schafft Bewusstheit, es macht mir klar, wo ich stehe. Und vielleicht kann ich es mir zur Gewohnheit machen, mich abschließend zu fragen, was brauche ich jetzt, was wäre jetzt hilfreich, nicht, weil ich immer eine Antwort darauf habe, sondern um meine Bedürfnisse zu erkennen und ernst zu nehmen.

„Der Trick bei der Sache ist, sich mit dem Wandel zu identifizieren, statt mit der Gestalt, mit dem Prozess statt mit dem Produkt.“
– Gabrielle Roth

Nach Jahren nochmal in so ein Seelentagebuch zu schauen, ist sehr aufschlussreich. Es ist nicht nur eine Begegnung mit mir selbst, sondern auch ein Beweis, dass nichts bleibt, wie es ist. Schaue ich also in mein Tagebuch von 2010, dann hatte ich natürlich damals schon Rheuma, aber beim genauen Hinsehen finde ich Glück und Unglück, Schwere und Leichtigkeit, Wertschätzung, Liebe….. das Leben halt.

4. Spielecke

Für diejenigen unter uns, die ihre kindlichen Anteile, ihr Inneres Kind sehr bewusst immer bei sich spüren, ist eine Spielecke vielleicht nicht wichtig. Die anderen aber, die den Begriff Inneres Kind nur schamvoll oder gar nicht denken, geschweige denn aussprechen wollen, die diese Sicht auf sich selbst als Psychokram abtun wollen, die sind hier zur Ausnahme, zum Spielen eingeladen. Spielen dient ja bekanntermaßen auch als vertrauensbildende Maßnahme. Wenn ich mein Inneres Kind also davon überzeugen möchte, dass ich Große in der Erwachsenenwelt heute für Sicherheit sorge, dass ich die Regie führe; wenn ich will, dass mein Inneres Kind mir vertraut, dann ist spielen bestimmt nicht die schlechteste Idee. Außerdem ist es eine gute Gelegenheit, die kindlichen Anteile als Ressource zu erleben. Beim Spiel können wir von unserem Inneren Kind lernen, können es in Momenten der Leichtigkeit, der Freude willkommen heißen. Wir spüren unsere kindliche Kreativität, unsere Kraft, spüren, woher wir haben, was wir heute sind. Wenn uns all das gelingt, gelingt es uns vielleicht auch in schwierigen Zeiten, unser Inneres Kind zu beruhigen, wenn es uns alte Ängste und Befürchtungen schickt.

Wie spiele ich mit meinem Inneren Kind? Gebrauchsanweisung:
Ich fürchte, die Spielanleitungen sind höchst individuell. Ich persönlich finde es hilfreich, über Fotos, Geschichten, vielleicht Gegenstände und Erinnerungen erstmal wieder in Kontakt mit mir zu kommen. Und wenn ich ein Bild von mir vor mein inneres Auge holen kann, dann hilft mir die Achtsamkeit weiter. Ich kann mein Inneres Kind, egal in welchem Alter, in der Imagination zu mir einladen, es willkommen heißen und dazu auffordern, mit mir die schönen Momente zu teilen. Das klingt vielleicht erstmal befremdlich, aber mein Inneres Kind ist sowieso da, ob ich es zur Kenntnis nehmen möchte oder nicht. Dann können wir genauso gut eine schöne Zeit zusammen haben und spielen.

„Das Kind braucht Liebe. LIEBE ist kein Ding. Liebe ist Leben, Leibsein. Liebe ist aktives Besorgtsein um das Leben.Die Liebe ist durch die Stillung der Lebensbedürfnisse erfüllt. Das Leben schafft Bedürfnisse. Diese zu stillen oder gestillt zu bekommen, ist erhaltendes Lieben. Das Kind will nur geliebt werden.“
– J. Konrad Stettbacher

Was hilft noch?

Die meisten therapeutischen Ansätze sind heute ressourcenorientiert, ob ich nun in einer psychosomatischen Reha, einem Fachkrankenhaus oder in ambulanter Therapie bin, immer wird früher oder später die Frage gestellt: Was hat dir in der Vergangenheit in schwierigen Situationen geholfen? Bzw. was glaubst du, könnte dir helfen?
Die Antworten können generell und individuell sein, zur Anregung gibt es hier eine kleine Liste:

Was hilft sonst noch?

029Den Hund auf den Schoß nehmen und kuscheln.   
Lieblingsmusik hören, entweder zum Austoben oder zum Ausheulen.
Baden mit Lavendelöl, Kerzenschein, etc.
Einen Menschen anrufen, der mir nah steht.
Einen Menschen besuchen, der mir nah steht.
Spazierengehen.
Musik an, Farben raus und malen.
Lieblingsfilm gucken
Rennen bis der Schweiß läuft.
Tanzen, siehe oben.10418
                                             Mit einem Buch in fremde Welten flüchten.
                                             Mein Garten.

                                             Manchmal hilft auch ein wärmendes Feuer.

Und wenn manchmal nachts die bösen Geister da waren, bin ich aufgestanden und rausgegangen. Das Innere Kind an der Hand bin ich einmal um den Bauwagen gelaufen und habe sie alle zum Teufel geschickt. Die Kleine war beeindruckt. Auch das war hilfreich. Was auch immer uns passiert ist, es ist vorbei und wir haben überlebt.